Europas Aufbruch in die Neuzeit 1500-1800
Eine Kultur- und Mentalitätsgeschichte - die Menschen, ihr Befinden und Verhalten.
"»Ein unterhaltsamer Schmöker für Kulturinteressierte, der sich sogar als Couchlektüre eignet«, schreibt das epoc-Magazin. Das hat mich neugierig gemacht: eine unterhaltsame Couchlektüre ist ja nicht unbedingt zu erwarten, von einem Buch mit strengem grünen Umschlag und Layout, strengem Titel und strengem Kaufmann mit Gichtfingern auf dem Umschlag.
Das Vorwort stammt von Prof. Dr. Dinzelbacher, der die Serie Kultur und Mentalität konzipiert hat, deren Abschluss dieses Buch mit der Betrachtung des Spätmittelalters darstellt. Typisch mittelalterlichen Komponenten hafte »mehr und mehr das Odium des Fremden an«, was einen »Teil des Faszinosums« ausmache, bemerkt Dinzelbacher - gut, dass er das Buch nicht geschrieben hat. Autorin Bea Lundt, Dozentin für mittelalertliche Geschichte in Flensburg, drückt sich weit weniger geschwurbelt aus.
Sie beginnt ihre Arbeit unerwartet: kein Werk der Gotik oder Rennaisance, sondern ein Mann mit Glatzenansatz in grünem Bademantel ist eines der ersten Abbildungen des Buchs. Er ist der Galileo einer modernen Interpretation von Brechts Leben des Galilei. Die Autorin wählt Galileo als typische Leitfigur des Übergangs zur Neuzeit, der wie in Brechts Drama technischen Fortschritt verbunden mit sozialem Versagen und der Isolation der Elite charakterisiert. Absicht ist, romantische Vorstellungen zu korrigieren, die von der Geschichtswissenschaft längst widerlegt, aber immer noch kollektiv dem Beginn der Neuzeit als Abgrenzung vom dunklen Mittelalter zugesprochen werden: aufregende Entdeckungsfahrten, rationales Weltverständnis, experimentelle Naturwissenschaft. Auch die anderen »Ikonen des Aufbruchs« betrachtet sie kritisch: auf Luther folgte Krieg und Spaltung, auf Kolumbus die systematische Zerstörung alter Kulturen.
Galilei, Kolumbus, Luther, Gutenberg - die vier genannten Herren, Ikonen des Aufbruchs, werden nicht mehr in den Mittelpunkt gerückt, wenn es um die Frage des Verständnisse der mentalen Grundlagen der modernen Welt geht. [...] Wo sind die Bauern? Die Städter? Die Frauen? Mit den vielen Menschen und ihren alltäglichen Erfahrungen, Wahrnehmungen, Aktivitäten und Deutungsmuster beschäftigt sich dieses Buch, das Mentalitäts- und Kulturgeschichte verbindet.Besonders ist die Epocheneinteilung, die sich nicht klassisch an Ereignissen und Personen festmacht, sondern an Befindlichkeiten und Verhaltensweisen der Menschen. An der Lebenswelt, dem Alltag der einfachen Menschen zwischen 1500 und 1800 orientiert sich das Buch und berichtet vom Leben in der Stadt, der Einstellung zum Ich, dem Mensch und seiner Umwelt. Wurde das Alter als Bedrohung wahrgenommen? Wie wurde der eigene Beruf bewertet? Was galt als gottgewollt, wie wurde Magie bewertet, das kalte Klima bewältigt?
Geschrieben in einem guten Verhältnis aus Anspruch und Unterhaltung und ausgestattet mit einer passenden Bilderauswahl, haben sowohl Studenten als auch privat Interessierte Freude am Buch. Das Prädikat »Unterhaltsamer Schmöker« passt am Ende doch besser auf einen historischen Roman, lesen lässt sich Europas Aufbruch in die Neuzeit aber auch recht gut auf der Couch statt am Arbeitstisch. Schon deshalb, weil ein geringer wissenschaftlicher Wortschatz und das geschichtliche Grundwissen der Schulzeit ausreicht, um alles verstehen und nachvollziehen zu können.
- Veröffentlicht:
- Medium:
- Buch
- Autor:
- Bea Lundt
- Verlag:
- Primus
- Kommentar:
- Verständlich und differenziert