Frankenstein und Belle de Jour

Bei Filmen wie One Flew Over the Cuckoo’s Nest, Clockwork Orange oder Girl, Interrupted, deren Handlung zumindest teilweise innerhalb von psychiatrischen Anstalten stattfindet, ist es anzunehmen, dass psychisch gestörte Charaktere im Vordergrund stehen.Eigentlich findet man psychisch Gestörte nicht nur in solchen Filmen. Welcher Filmcharakter hat kleinen Spleen, der ihn aus dem stereotypen Dasein herausheben soll, und sei es nur, um ihn ein wenig liebenswerter zu machen? Suchen muss man wirklich nicht lange, selbst in romantischen Komödien leiden die Hauptdarsteller zumindest unter minderschweren psychischen Störungen wie Hypochondrie, Kontrollzwang oder sie sind einfach irgendwie exzentrisch.

Ein Blick auf den Umschlag von Frankenstein und Belle de jour zeigt, dass hier ernsthaft psychisch gestörte Charaktere analysiert werden, Hannbibal mit Maulkorb, der Aviator mit nervöser Falte zwischen den Augen, oder das Gesicht von Amelie in ihrer Rolle als Kunststudentin im Liebeswahn. Die 30 versammelten Charaktere sind ihrer Diagnose nach geordnet, nach dem internationalen Diagnoseschema ICD-10 - ein klares Anzeichen dafür, dass zwar auch Filmschaffende angesprochen sind (immerhin ist einer auch unter den Autoren, ganz ohne Akademikertitel), vor allem aber Studenten der Psychologie auf ihre Kosten kommen.

Wenn man vorne im Buch nachschaut, dann wird eine beängstigende Anzahl an Autoren vorgestellt. Es ist - bis auf drei Ausnahmen - ein großer Haufen Wissenschaftler der Bereiche Psychologie, Pädagogik, Soziologie, Medizin, Neurologie und Liteatur. Versammelt haben sich, wenn ich mich nicht verzählt habe, 26 Doktoren (drei davon gar als Doppeltäter), u.a. mit Diplom oder Professorentitel. 37 Autoren insgesamt, das sind sieben mehr als die Filmcharaktere mit ihren psychischen Störungen.

Verderben so viele Köche den Brei? Streckenweise liest sich das Buch sehr leicht, geradezu »idiotensicher«, wie ein Satz zum Film Train Spotting zeigt: »In einer Situation im Film setzen bei Mark Entzugserscheinungen ein, d.h. er braucht dringend neine Dorgennachschub«. Ach was! Dann wieder gibt es einige sehr zähe, sehr fachsimplige Abschnitte, die jenen Lernwilligen gerecht werden, die Psychologie oder Psychotherapie studieren und die Krankheitsbilder direkt an den Filmfiguren lernen.

Ich studiere das nicht, mich interessieren mehr die Filme und die Charaktere als die spezifischen Fachausdrücke ihrer geistigen Störungen. Doch das Buch erklärt auf seine Weise die 30 Filmcharaktere einzigartig detailliert und - dessen kann man sich angesichts der versammelten Kompetenz im Autorenverzeichnis sicher sein - absolut fachkundig.