Mayas, Pochos und Chicanos
Inge Baxmann über die Entwicklung einer transnationalen Nation
Man setze die mexikansiche Flagge neben die amerikanische, davor ein postrevolutionären Portrait der Revolutionsführer, darauf eine Mayapyramide, und schließlich - alles überdeckend - die statuenartige Karikatur des stereotypen Bild des schokoladenbraunen Mexikaners samt Schnurrbart und Sombrero, alles etwas schludrig ausgeschnitten. Auch der Hinweis auf Coca-Cola-Amerika darf nicht fehlen, fertig ist das bunte (und damit Mexiko-gerechte) Umschlagmotiv eines Buchs, das das Scheitern von mexikansciehn Identitäts-Modellen erklärt - und so die »erstaunliche Flexibilität der Nationalkultur« zeigt.
Ihre Einleitung beginnt die Autorin Prof. Dr. Inge Baxmann mit folgendem Satz: »Das Foto zeigt ein Bankett im Palacio Nacional in Mexico City, 6. Dezember 1914.« Es folgt eine ausführliche Beschreibung der Umstände und abgebildeten Personen - spannend, wer da so nebeneinander seine Tortillas rollt! Gerne würde ich das Bild genauer betrachten. Doch im Ausschnitt auf dem Umschlag fehlen einige entscheidende Köpfe, und das gedruckte Foto innen ist nahezu unkenntlich. So war mein erster Eindruck dieses Buches eine Enttäuschung.
Auch was das Lesen des Textes angeht, darf man sich keinesfalls leichte Kost erhoffen. Ich habe mich mehrmals dabei erwischt, wie ich Seiten angeschaut und umgeblättert habe, ohne die Buchstaben zu verarbeiten. Dieses Buch ist keine populärwissenschaftliche Arbeit.
Nach der kleinen Enttäuschung und der Erkenntnis, dass das Lesen etwas anstrengend werden würde, konnte ich mich auf das Buch einlassen, das in vier Teilen folgende Grundthese verdeutlichen möchte: die mexikanische Nation war ihren Bestandteilen schon immer transnational. Den Ansatz dieser Entwicklung macht Inge Baxmann am Ende der Mexikanischen Revolution fest. In der neu geordneten Politik beschäftigte man sich mit der Frage, wie die vorhandenen Ethnien (die »Mischethnien« Mestizos, Mulatten, Zambos und die »ungemischten« Cirollos, Indios und Schwarzen) zu einem einzigen Volk werden können (eine »kosmische Rasse« als Mischung aller Ethnien war in Planung).
Ebenfalls sollte nun geklärt werden, welche gemeinsame kulturelle Identität das mexikansiche Volk in Zukunft vereint. Auf ihrem Weg durchläuft Inge Baxmann verschiedene Stationen: ihr berufliches Steckenpferd Theaterwissenschaften kommt voll zur Geltung, da besonders die künstlerische Identitätssuche geschildert wird: so lautet der Titel des zweiten Teils »Maya, Art Déco und Streamline«, Teil 3 widmet sich den »Bilder[n] der Nation. Von Eisenstein zum Charro-Film«. Der vierte Teil handelt schließlich von dem »Ende der Border-Culture« und dem »Border-Crossing als postnationale Lebensform«.
Ich kenne viele Mexikaner als stolze und patriotische Menschen. Ob sie es als unangenehme Wahrheit empfinden, dass die mexikanische Identität kalkulierten politischen Planungen zu Grunde liegt? Ich werde diese Frage stellen und die Antwort darauf nachtragen.
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